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Startseite ›Bericht über die sozialen Proteste in der Ukraine
Wir veröffentlichen den folgenden Artikel in voller Solidarität mit Assembly, einer anarchistischen Gruppe aus Charkiw, die über die Kämpfe der ArbeiterInnen in der Ukraine auf beiden Seiten der Frontlinie berichtet (siehe: assembly.org.ua). In einem kürzlich geführten Interview (siehe: umanitanova.org) sagten sie über sich selbst: „Wir geben nützliche Informationen für die ArbeiterInnen in ihrer täglichen Konfrontation mit den Bossen oder Beamten, und unsere Position der Verurteilung beider kriegführender Staaten ... ist denen ziemlich nahe, die in diesem trostlosen Loch ohne klare Zukunft nichts zu verteidigen haben." Sie kritisieren auch jene Anarchisten, die angesichts des imperialistischen Krieges „sofort mit der herrschenden Klasse in einem einzigen nationalistischen Impuls verschmolzen". Trotz unserer politischen Differenzen ist klar, dass Assembly versucht, unter den schwierigsten Umständen einen internationalistischen Kurs zu fahren. Solche kritischen Stimmen sind wichtig, da sie zeigen, dass der Klassenkampf nicht aufhört, auch nicht im imperialistischen Krieg. Sie widerlegen auch die Behauptungen einiger Anarchisten im Westen, die mit dem „Zuhören der Stimmen aus der Ukraine“ die Verteidigung des ukrainischen Staates meinen.(1) Die derzeitige Krise, die durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wird, führt zu immer mehr direkten Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse in der ganzen Welt. Wenn die ArbeiterInnen diesem Treiben widerstehen sollen, müssen sie erkennen, dass sie mehr miteinander als mit ihren herrschenden Klassen gemeinsam haben. Mit den Worten von Assembly, „no war but the social war!“
Der laufende Monat begann mit einem Vorfall am ersten Abend des Herbstes, als Bewohner des Kiewer Außenbezirks Sofiyivska Borshchagovka die Straße blockierten, weil 60 Häuser nicht mehr mit Wasser versorgt wurden. Die Wasserversorgung wurde aufgrund von Schulden in Höhe von mehreren Millionen Griwna eingestellt, die örtliche Abwasserpumpstation wurde abgeschaltet. Die Betreibergesellschaft, die regelmäßig Geld von den VerbraucherInnen eintrieb, leitete es seit Herbst letzten Jahres nicht an die Energieunternehmen weiter und ging dann in Konkurs. Nach zwei Tagen ohne Wasser _blockierte eine Menschenmenge die belebte Straße und rief „Wasser! Wasser!" (t.me) So etwas hat es schon lange nicht mehr gegeben! Um 23:00 Uhr mussten die DemonstrantInnen wegen der Ausgangssperre aufgeben. Aber um 00:07 Uhr wurde die Wasserversorgung der Häuser wieder aufgenommen. Für den nächsten Tag wurde ein Treffen aller RepräsentantInnen angekündigt, um das Problem zu besprechen.
In unserer Stadt Charkiw ließ die Stadtverwaltung die MitarbeiterInnen der städtischen Elektrizitätswerke ohne Geld zurück. Die ArbeiterInnen der öffentlichen Versorgungsbetriebe riskieren jeden Tag ihr Leben unter dem endlosen russischen Raketenbeschuss, doch mittlerweile beträgt der Lohnrückstand zwei Monate, und die Löhne wurden auf ein Minimum reduziert. Die Situation ist so eskaliert, dass sich gestern Morgen die FahrerInnen von Oberleitungsbussen und Bussen geweigert haben, die Strecken zu befahren. (assembly.org.ua) Die StraßenbahnfahrerInnen haben ähnliche Probleme, aber gearbeitet. Das Servicepersonal der Betriebshöfe sabotiert die Arbeit seit langem stillschweigend. Einer der Demonstranten berichtet anonym:
Jeder versteht, dass es in Kriegszeiten zu Repressionen kommen kann. In Friedenszeiten hätten wir uns schon gewehrt. Wäre es in irgendeinem schäbigen Europa, würde nicht nur gestreikt, sondern die gesamte Stadtführung mitsamt Stühlen hinausgetragen werden. Wir hoffen auf eine maximale Berichterstattung über dieses Thema. Sie können bestrafen, indem sie Vorladungen aushändigen. Es gibt einen Mobilisierungsvorbehalt (für die Einberufung zur Armee), den aber nicht alle haben.
Die Überweisung der Gelder für die Gehälter aus der Hauptstadtkasse wird bis zum 16. September erwartet, andernfalls drohen die ArbeiterInnen mit einem unbefristeten Streik.
In Saporoschje fordern die AnwohnerInnen einen Baustopp und die an die Stadtgemeinschaft. (aitrus.info) Die Bauarbeiten begannen vor einem Jahr, als Bauarbeiter begannen, Bäume in der Grünzone zu fällen. Die AnwohnerInnen verlangten daraufhin eine Prüfung von Experten, woraufhin die Bauarbeiten gestoppt, aber vor etwa zwei Wochen wieder aufgenommen wurden. Bei den Arbeiten wurde das unterirdische Heizkabel beschädigt. Am 26. August begaben sich AnwohnerInnen auf die Baustelle und störten die Arbeiten; die Bauherren riefen die Polizei. Am selben Tag kamen Vertreterinnen und Vertreter der Bezirksverwaltung zu einem Treffen mit der Bevölkerung und versprachen, die rechtlichen Grundlagen für die laufenden Bauarbeiten zu prüfen.
In Mariupol, das seit Mai von den Russen und ihren "DVR"-Vertretern (der sog. Volksrepubliken) kontrolliert wird, kam es, wie auf dem Titelfoto zu sehen ist, zu einem Aufstand wegen fehlender humanitärer Hilfe durch das Internationale Rote Kreuz. Videos zeigen die lautstarke Empörung am 30. August auf dem Gurov-Park. (t.me) In den Ruinen dieser Geisterstadt lebt noch die Hälfte der Bevölkerung - etwa 200 000 Menschen - und niemand weiß, wie sie den Winter ohne Arbeit und Heizung überstehen werden. Auch wenn es Arbeit gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch bezahlt wird. Wie wir bereits berichteten, streikten die ArbeiterInnen des Wasserversorgungsunternehmens vor einem Monat, und erst danach begannen die russischen Behörden, die Löhne auszuzahlen. (libcom.org)
Am Abend des 7. September versammelten sich etwa 150 DemonstrantInnen vor der Polizeistation in der Morskaja-Straße im Zentrum der Krim-Stadt Jalta und blockierten den Verkehr entlang der Straße. Sie brachten ihre Empörung darüber zum Ausdruck, dass die Polizei einen der Beteiligten an dem brutalen Mord, der eng mit paramilitärischen Machtstrukturen verbunden ist, „als Zeugen“ freiließ.
Wie berichtet, war der 34-jährige Sergej Suchow aus Gaspra am frühen Morgen des Vortages mit 36 Stichwunden ins Krankenhaus gebracht worden. Er verstarb später. Der Angriff auf ihn wurde von Kirill Gontarenko - einem Zugführer der Spezialeinheit des Veteranenverbandes aus Alupka, der vor kurzem aus der Ukraine zurückgekehrt ist (er ist auch der Gründer des Schießclubs mit einem pensionierten Oberstleutnant des Sicherheitsdienstes der Ukraine) - zusammen mit seinem Kumpel Vladimir Kikavets verübt. Letzterer ist ein ehemaliges Mitglied der örtlichen pro-russischen „Selbstverteidigung“ und Inhaber einer privaten Sicherheitsagentur. Sie fuhren mit einem Auto mit Z-Aufschrift zu einem Café, griffen Suchow an, schlugen ihn brutal zusammen und warfen ihn dann in den Kofferraum...
Zunächst nahm die Polizei nur Kikavets unter dem Vorwurf des Mordes fest, während Gontarenko als Zeuge verhört und wieder freigelassen wurde. Seine Freilassung löste einen Wutausbruch aus: Die Menschen vermuteten, dass diese herablassende Haltung gegenüber dem Schläger auf seine Verbindung zu repressiven und kriminellen Strukturen zurückzuführen war. Die DemonstrantInnen forderten die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und die Bestrafung aller Verantwortlichen. Wie später bekannt wurde, wurde auch Gontarenko festgenommen. Derselben Quelle zufolge wird das erwähnte Dorf Gaspra nicht zum ersten Mal in die Berichte über den sozialen Widerstand aufgenommen: Ende 2020 zerstörten die Bauarbeiter dort die Schule, für deren Reparatur sie nicht bezahlt wurden.
Auf der anderen Seite der Frontlinie, in der Westukraine, kam es zu einer Gefängnisrevolte. Am 25. Juli um 2 Uhr morgens erhielt die Polizei die Nachricht, dass in der Strafvollzugskolonie Politsk in der Region Rivne Häftlinge einen Aufstand angezettelt hatten und Einrichtungsgegenstände zerstörten. (libcom.org) Sie verbarrikadierten sich im Wohnbereich der Einrichtung und verweigerten dem Personal den Zutritt, schlugen Fenster ein und beschädigten Möbel in den Wohnbaracken, setzten den Quarantäneraum und den Speisesaal in Brand. Nach Angaben der wichtigsten regionalen Polizeidienststelle handelte es sich bei den Initiatoren um Häftlinge, die aus der Region Saporoshje evakuiert worden waren. Es ist bekannt, dass 75 Häftlinge rebellierten. Der Alarm setzte 100 Angestellte des Gefängnisses und 40 Polizisten in Aktion. Die Rebellion wurde niedergeschlagen. Offiziell gab es keine Verletzten.
Wie wir bereits berichteten, gibt es in der Strafkolonie seit Jahren ein profitables Geschäft: Werkstätten und Manufakturen, in denen Tore, Zäune, verschiedene Metallkonstruktionen, Container und sogar Bushaltestellen hergestellt werden. Sie haben sich auch auf Natursteinprodukte spezialisiert, z. B. auf Pflastersteine, und betreiben eine Näherei. Der Krieg hat der Produktion keinen Abbruch getan. Die Häftlinge beschwerten sich über die sklavenartigen Arbeitsbedingungen: Sie nähten von 08:00 bis 00:30 Uhr. Während einer Schicht müssen 80 kg Stein gehackt werden. Diejenigen, die die Norm nicht erfüllten, und das ist die Mehrheit der Arbeiter, bekamen nur einen Hungerlohn.
Der Herbst hat gerade erst begonnen - und er verspricht schon jetzt nicht nur durch die Kampfhandlungen heiß zu werden.
Abschließend empfehlen wir die Lektüre diese kleine Analyse darüber, wie sich die Verlagerung von Unternehmen in den Westen der Ukraine auf den dortigen Arbeitskampf verstärken kann. (assembly.org.ua)
Und außerdem noch die folgende Geschichte kapitalistischer Gerissenheit - wie ein in Moskau ansässiges Designunternehmen Genpro nach Arbeitskräften in der Ukraine sucht, um fünfmal niedrigere Löhne zu zahlen und sich später wahrscheinlich auch am Wiederaufbau zerstörter Städte zu beteiligen. (assembly.org.ua)
No war but the social war!
Assemblylibcom.org
(1) So auch die im Umfeld der sog. „Interventionistischen Linken“ dümpelnde Zeitschrift ak mit ihrer Frontberichterstattung (akweb.de), die mittlerweile auch zur Veröffentlichung solcher Verlautbarungen (siehe: akweb.de) fähig ist und getrost als Zentralorgan des postautonomen Sozialchauvinismus bezeichnet werden kann.
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